Zum 70-jährigen Bestandsjubiläum präsentiert das Filmarchiv Austria unter dem Titel Landvermessung eine groß angelegte, über das gesamte Jahr 2025 ausgebreitete Retrospektive zur österreichischen Filmgeschichte.
Dieser Rückblick versteht sich dabei weniger als chronologische Abfolge von Meilensteinen, sondern als eine Anordnung von Themen und Motiven, auf die sich die heimische Kinoproduktion immer wieder bezogen hat. Dabei werden regelmäßig spannende Wiederentdeckungen und Neurestaurierungen vorgestellt. Ausgewählte Filme der Landvermessung sind auch auf Filmarchiv ON zu sehen.
Zum 70-jährigen Bestandsjubiläum präsentiert das Filmarchiv Austria nach vielen Jahren wieder eine größer angelegte, über das gesamte Jahr 2025 ausgebreitete Retrospektive zur österreichischen Filmgeschichte. Seit Beginn einer eigenständigen Filmproduktion Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich ein durchaus eindrucksvolles audiovisuelles Erbe formiert, das immer wieder neu gesehen und neu entdeckt werden will. In der Regel sind Filme immer Abbilder kultureller, aber auch kulturindustriell determinierter Produktionsbedingungen und Realitätserfahrungen. Die Art und Weise, wie Wirklichkeiten ein- und ausgeblendet werden, wie Zäsuren und Brüche geklittert oder auch offengelegt werden, beglaubigen ihren Stellenwert. Ein ernsthaftes Rendezvous mit der Filmgeschichte ist daher auch so etwas wie eine retrospektive Landvermessung, eine Expedition in die Tiefenschichten der österreichischen Identität.
Der Filmkritiker Helmut Färber hat einmal vom Kino als letzte Form der mündlichen Überlieferung gesprochen. »In jedem einzelnen Film lebt bewusst und unbewusst eine Erinnerung an frühere, und spätere kündigen sich an. Die Filme erzählen ähnliche Geschichten, erzählen die gleichen immer wieder neu, dabei verändernd, modernisierend, vergessend, verwechselnd, verwandelnd.« Mit der Landvermessung blickt das Filmarchiv Austria auf einen schillernden, vielschichtigen und oft widersprüchlichen Kinokosmos, und legt Fährten für einen Parcours durch diese historisch gewordene Filmlandschaft mit all ihren Auffaltungen, Spalten, Brüchen und Übergängen. Bildmächtige Momente des kollektiven Gedächtnisses stehen dabei neben Augenblicken der Irritation und des Widerständigen, Strömungen und Gegenbewegungen werden in der Zusammenschau sichtbar.
Die Landvermessung entwirft eine österreichische Filmgeschichte nicht als chronologische Abfolge von Meilensteinen, sondern als eine Anordnung von Themen und Motiven, auf die sich die heimische Kinoproduktion immer wieder bezogen hat – und die Ankerpunkte für die monatlichen Schwerpunktprogramme bilden. Ziel der Landvermessung ist es, die Topografie des österreichischen Kinos in ihrer ganzen Breite und Tiefe sichtbar zu machen, um auch Perspektiven für das Überraschende, Unerwartete oder auch Verschüttete zu öffnen.
Spätestens hier kommt die Filmarchivarbeit ins Spiel. Gestärkt vom Bewusstsein, dass letztlich nur die wieder sichtbaren und wieder zeigbaren Filme zählen, gilt es in erster Linie, verloren geglaubte Bilder wiederzugewinnen und schmerzliche Überlieferungslücken zu schließen. Gegen die weltweite Tendenz, dass die wirtschaftliche Kraft eines Filmprojekts auch die Qualität der Überlieferung und damit die filmhistorische Wahrnehmung bestimmt, sind die Anstrengungen der Archivarbeit auszurichten.
Bis heute ist es dem Filmarchiv Austria gelungen, den Überlieferungs-Status des österreichischen Films durch zahlreiche Sammel- und Restaurierungsprojekte entscheidend zu erweitern. Für die Stummfilmzeit etwa konnten die im Filmarchiv aufbewahrten Materialien seit der Jahrtausendwende mehr als verdreifacht werden, die Tonfilmproduktion bis 1945 liegt mittlerweile nahezu vollständig vor. Und auch für die Periode der Nachkriegszeit sind viele Neuentdeckungen und Sammlungsergänzungen zu verzeichnen.
Den vermeintlichen Marginalien, den sprichwörtlichen Außenseiterproduktionen, hinter denen keine kommerziellen Interessensvertreter (mehr) stehen, gebührt die besondere Aufmerksamkeit der Landvermessung. Denn gerade diese entpuppen sich retrospektiv mitunter als jene Utopien, die Bewegungsrichtungen eines alternativen österreichischen Kinos andeuten. Dort, wo sich die Erschließungsarbeit von leidigen Kanonüberlegungen befreit, können Filmarchive den Blick auf die (Film-)Geschichte tatsächlich erweitern und vielleicht sogar verändern.
Im besten Fall gelingt es der Landvermessung, das überlieferte und nun breiter ausgestellte Filmerbe im Geschichtsjahr 2025 als jenes kollektive Erinnerungs- und Gedächtnisinventar ins Spiel zu bringen, das in der allgegenwärtigen audiovisuellen Bilderflut Mosaiksteine, Bruch- und Versatzstücke einer österreichischen Identität sichtbar und begreifbar macht. (Ernst Kieninger)