Die Anzahl der Personen, die kriegerische Aggression wirklich noch bewusst miterlebt hat, ist in Österreich mittlerweile überschaubar. Und doch - mit dem Angriff auf die Ukraine hat Russland die gut verdrängte Zeit auch bei uns wieder in eine Art kollektives, gesellschaftliches Gedächtnis gerufen. „Angst“ ist seither ein omnipräsentes Thema in der ganzen Gesellschaft.
Dieses Thema wird durch Umbrüche unterschiedlicher Art weltweit genährt und durch Radikalisierung – gleichzeitig Folge und Ursache der Entwicklung -, in vielen Ländern vorangetrieben. Die gesellschaftlichen Sogwirkungen, die in mit Angst besetzten Zeiten entstehen können, sollten nicht unterschätzt werden, denn nach Carol Z. Stearns und Peter N. Stearns bestimmen dann „Gefühlsnormen“ („emotionology“) in Wechselwirkung mit den eigenen Gefühlen im Menschen, welche Befindlichkeit manifest wird und welche Gefühle, wie in der Gesellschaft geäußert werden dürfen.
Wie stark Angstgefühle individuell verankert sein können, auch – oder gerade dann – wenn nicht darüber gesprochen wird, zeigen die Arbeiten von Karin Maria Pfeifer, die indirekt auf Kriegserlebnisse ihrer Großeltern zurückgreift. Sie konnten sich nie abgewöhnen, das kleines Einfamilienhaus jede Nacht mit massiven Eisen-Scherengittern zu verbarrikadieren, teils sogar einzelne Räume im Inneren, was Pfeifer zu einer beklemmenden Rauminstallation inspiriert, in der ein Käfig und die Lockenwickler der Großmutter einen Auftritt in Stahl und Keramik haben.
Wie geht man mit der Angst um, die einen nicht loslässt? Etwa so wie ihr Großvater, der seine Zeit in den Schützengraben an der russischen Front auch Dank eines – damals wohl als frivol einzustufenden Kartenspiels mit Abbildungen hübscher Mädchen in Bademode – überlebte. Seit damals wurde das Kartenspiel selten hervorgeholt, schließlich will man die Erinnerung nicht wieder ins Bewusstsein holen, aus dem man es – auch um weiterleben zu können – erfolgreich verdrängt hat. Zumindest bis Pfeifer es in einer übergroßen Nachbildung in Präsenz ruft. Dass auch hier der zerbrechliche und spröde Werkstoff Keramik gewählt wird, ist angesichts des Themas kein Zufall.
Das Unaussprechliche einer angstbesetzten Erinnerung arbeitet in einem fort, glaubt die Künstlerin und vervollständigt ihren Werk- und Installationszyklus mit gemalten Ansichten bedrohlicher Wolken- und Bergformation in österreichischen Bergen, in Schwarz- und Grautönen. Und irgendwie bricht das Erlebte indirekt auch noch Generationen später wieder auf, stellt die Künstlerin fest, wenn die lange unverständliche Weigerung der Großeltern, Wohnraum jenseits der Donau als ehemalige Demarkationslinie zum russischen Besatzungsgebiet zu schaffen, durch den Krieg in der Ukraine plötzlich ganz unangenehm begreifbar wird.
Letztlich geht es um eine künstlerische Umsetzung der Frage, was das mit einer Gesellschaft macht, die frei nach Arlie Hochschild nach ihren „feeling rules“ lebt, wenn Menschen versuchen, sich nicht nur nach Maßgaben bestimmter Gefühlsnormen zu verhalten, sondern diese auch angemessen zu fühlen?*
Die Äußerung eines Gefühls verändert oft nicht nur die innere Realität dessen, der empfindet, sondern ruft geradezu zwangsläufig eine Gefühlsreaktion der anderen hervor. Und das tut etwas mit der inneren und äußeren Welt.