Lana Gogoberidze

Film Filmreihe
Von Freitag
29. November
2024
bis Mittwoch
08. Jänner
2025
Filmmuseum
Augustinerstraße 1
1010 Wien
➜ edit + new album ev_02yFORsikAQpJ08K8jVPmF
19 Termine
Freitag 29. November - Mittwoch 8. Jän. 2025
Fr 29. Nov. -
Mi 8. Jän. 2025
Lana Gogoberidze
eSeL – Artverwandtes
Mittwoch 4. Dezember
Donnerstag 5. Dezember
Sonntag 8. Dezember
Donnerstag 12. Dezember
Montag 16. Dezember

Die Filmwelten von Lana Gogoberidze sind bestimmt vom menschlichen Alltag, verwoben mit der Problematisierung von Geschlechterrollen, dem Verhältnis zwischen den Generationen und Fragen des Politischen. Meist sind es Lebenserfahrungen und Perspektiven von Frauen, vor dem Hintergrund der (totalitären) Geschichte. Mit Begeisterung setzt die Regisseurin dabei ausdrucksstarke und ungewöhnliche Gesichter in Szene.

Erst seit kurzem ist das filmische Gesamtwerk Gogoberidzes (mit Ausnahme ihrer ersten drei kurzen und mittellangen Dokumentarfilme) für ein heutiges Publikum zugänglich. 2022 zeigte das Wiesbadener goEast-Filmfestival gemeinsam mit der Frankfurter Kinothek Asta Nielsen die erste Hommage, auch dank neuer Digitalisierungen. Und es ist ein großer Glücksfall, dass die Regisseurin 2023 mit Mother and Daughter or The Night Is Never Complete in Co-Regie mit ihrer Tochter Salomé Alexi einen Vermächtnis-Film vollenden konnte – den Schlüssel vielleicht zu ihrem Leben, dem Kino und zur Geschichte der Gogoberidze-Dynastie.

Verhindert wurde eine kontinuierliche internationale Rezeption einerseits durch die Tatsache, dass die Regisseurin immer wieder mit der sowjetischen Zensur zu kämpfen hatte und die in Georgien dramatischen Umbruchsjahre ab 1989 mitten in ihr Berufsleben platzten; andererseits durch den Umstand, dass die georgische Filmgeschichte im russischen Gosfilmofond archiviert ist. Die nach dem Krieg gegen Georgien mühsam wieder aufgenommenen Fäden zu Russlands Staatsfilmarchiv sind seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erneut gekappt. Wie bittere Ironie der Geschichte mutet es an, dass die späte internationale Würdigung von Gogoberidze nun zu einer Zeit geschieht, in der Georgiens Demokratie auf Messers Schneide steht.

Das Filmemachen folgt in Gogoberidzes Familie einer sich über drei Generationen erstreckenden matrilinearen Logik. Lana Gogoberidze wurde am 13. Oktober 1928 in Tbilisi geboren; sie wuchs bei einer Tante auf. Ihr Vater Levan Gogoberidze fiel 1937 dem Großen Terror zum Opfer: “Wie Millionen andere im Laufe der Weltgeschichte hat die Revolution meinen Vater zunächst adoptiert, dann zu ihrer Waffe gemacht und schließlich verschlungen und vernichtet”, schreibt Gogoberidze in ihrer Autobiografie mit dem Titel Ich trank Gift wie kachetischen Wein (2019).

Ihre Mutter Nutsa Gogoberidze (1902−1966), Georgiens erste Regisseurin, wurde im selben Schicksalsjahr als “Familienmitglied eines Vaterlandsverräters” verhaftet und überlebte zehn Jahre Gulag. Im Alter von 45 Jahren kam sie zurück nach Tbilisi. Lana, inzwischen eine junge Frau, musste ihre eigene Mutter neu kennenlernen. Das Verbot von Nutsa Gogoberidzes Spielfilm Ujmuri von 1934 setzte ihrer Regiekarriere sogleich ein Ende. 1928 hatte sie mit ihrem Freund und Kollegen Mikheil Kalatozishvili (aka Mikhail Kalatozov) einen Film gedreht; der “Kulturfilm” Buba von 1930 war ihre erste Solo-Regiearbeit. Buba und Ujmuri sollten viele Jahrzehnte verschollen bleiben, bis es Lana Gogoberidze und ihren Töchtern gelang, die Filme in den 2010er Jahren in Archiven zu finden und endlich selbst zu sehen. Ihre Mutter hatte ihr gegenüber nie von der eigenen Arbeit als Regisseurin gesprochen.

Die dritte Generation ist Salomé Alexi, eine von Lana Gogoberidzes Töchtern, die in einigen Filmen ihrer Mutter zu sehen ist. Auch sie ist Filmemacherin, eine Absolventin der Pariser Filmschule La Fémis. 2014 drehte sie mit Line of Credit ihren ersten Langspielfilm, derzeit stellt sie ihren zweiten fertig – und kümmert sich um Untertitel, Digitalisierung und Vertrieb der Filme ihrer Mutter.

Da dieser ein Filmstudium zunächst verwehrt blieb, studierte Lana Gogoberidze an der Universität in Tbilisi Literaturwissenschaft. Sie promovierte zu einem ihrer Lieblingsdichter, Walt Whitman, dessen Unabhängigkeit, Individualismus und Freiheitsdrang sie bis heute bewundert … auch wenn die Zitate in ihren Filmen nun meist von Paul Éluard stammen. Schließlich gelang es Gogoberidze am Moskauer Staatlichen Filminstitut (VGIK) ein Regiestudium aufzunehmen. Ihre Lehrer waren Sergei Gerasimov, Mikhail Romm und Sergei Yutkevich, ihre Kommiliton*innen Kira Muratova, Vasily Shukshin, Andrei Tarkovsky, Eldar und Giorgi Shengelaia sowie Otar Iosseliani.

Der bekannteste ihrer Filme, der auch international beachtet wurde, gilt als einer der ersten feministischen des sowjetischen Kinos: Some Interviews on Personal Matters von 1978, mit der wunderbaren Sofiko Chiaureli in der Hauptrolle als Journalistin. Lana Gogoberidze war nie “nur” wider Willen Feministin: Schon ihr Spielfilmdebüt von 1961 – noch mitten in der Tauwetter-Zeit entstanden – erzählt nonchalant gleich drei Geschichten aus weiblicher Perspektive; Under One Sky bricht geradezu revolutionär mit dem male gaze. Die literarische Adaption I See the Sun von 1965 sowie When Almonds Blossomed von 1972 sind bittersüße Filme über Adoleszenz; letzterer porträtiert auf den ersten Blick eine unbeschwerte Teenager-Clique, erzählt dann aber davon, wie das Gesetz des Vaters gebrochen werden muss, um Emanzipation zu ermöglichen. War das Schicksal der Opfer stalinistischer Verbrechen in Some Interviews noch ein Thema unter mehreren, so lieferte Gogoberidze 1992 mit The Waltz on the Petschora einen Film, der ausschließlich auf den dokumentarischen Erzählungen ihrer Mutter über das Leben im Lager und ihren eigenen Kindheitserinnerungen beruht. Der vielleicht opulenteste unter Gogoberidzes Filmen ist die Ballade Day Is Longer Than Night (1984); der mit Abstand heiterste ihr Musical Commotion (1975). In letzterem scheinen Gesang, Tanz und kulinarischer Genuss den Beweis für die vielfach beschworene Fröhlichkeit der Georgier*innen antreten zu wollen.

Mother and Daughter, or the Night is Never Complete feierte Anfang des Jahres im Forum der Berlinale seine Weltpremiere. Mit ihm schließt sich ein Kreis. Die Mutter Nutsa ist “Movens und Adressatin dieses synästhetisch verfahrenden Stücks Erinnerungsarbeit”, schreibt der Kulturwissenschaftler Leonard Krähmer: “Es geht um die transgenerationale Weitergabe von Wissen, Leidenschaften und Traumata, wenn Lanas unermüdliche Ü90-Stimme den langen Atem der Geschichte zurückverfolgt und dabei nicht nur Abgründe sowjetischer Gewaltherrschaft durchmisst, sondern auch im Bildarchiv der eigenen Familiengeschichte stöbert, Sequenzen aus eigenen und den (wiedergefundenen) Filmen der Mutter engführt mit dem Leben, das sich in sie eingeschrieben hat.” Der Film bezeugt und teilt das an Lebensgefühl und -geschichte reiche Kino der Gogoberidze-Dynastie, reich auch an Abgründen wie Krieg und Terror. Sie zu überstehen helfen Poesie und Prosa, Tanz und Musik und vor allem das Kino. “La nuit n’est jamais complète.” Paul Éluard, Surrealist und Lieblingspoet Gogoberidzes. (Gaby Babić, Barbara Wurm)

In Kooperation mit der Kinothek Asta Nielsen

In Anwesenheit von Lana Gogoberidze und Salomé Alexi am 29. und 30. November 2024 / Einführungen von Gaby Babić am 1. Dezember 2024

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