Abgründe des kreativen Imperativs
Kuratiert von Cosima Rainer und Robert Müller
Kuratorische Assistenz: Laura Egger-Karlegger und Manon Fougère
Mit Arbeiten aus den Beständen von Kunstsammlung und Archiv und eingeladenen Positionen
Uli Aigner, Linda Bilda, The Critical Ass, Josef Dabernig, Hanne Darboven, Verena Dengler, Harun Farocki, John Miller & Richard Hoeck, Helena Huneke, Martin Kippenberger, Josef Kramhöller, Michael Krebber, Tonio Kröner, Friederike Mayröcker, Maria Lassnig, Sigmar Polke, Ulla Rossek, Jack Smith, Amelie von Wulffen, Franz West, Tanja Widmann, Min Yoon, u.a.
Die Ausstellung Ins Dunkle schwimmen zeigt gegenwärtige künstlerische Auseinandersetzungen mit der Modellierung des Individuums als schöpferisches Subjekt im „ästhetischen Kapitalismus“. Anknüpfend an die letzte große Sammlungspräsentation von Kunstsammlung und Archiv zum Wirken des Kunstpädagogen Franz Čižek fragt sie nach Fortschreibungen und Dekonstruktionen der Hoffnungen der Moderne auf Kunst als vermeintlich authentischen Ausdruck des Inneren und auf Kreativität als Werkzeug zur Verbesserung des Lebens.
Mit diesem Kontext verbunden ist die psychologisierte Kultur der Spätmoderne, die sich durch therapeutische Selbstbeschäftigung und performative Selbstentfaltung auszeichnet und deren kapitalistische Verwertung, die gesellschaftlichen Veränderungen des 20. und 21. Jahrhunderts permanent begleitet. Wie die Soziologin Eva Illouz in ihrem Buch Saving the Modern Soul: Therapy, Emotions, and the Culture of Self-Help (2008) nachzeichnet, entstand in der Zwischenkriegszeit der „emotionale Stil“ im Zuge einer Modifizierung von Sigmund Freuds Theorien durch die us-amerikanische Kultur der Ich-Psychologie. Heute gehören Selbstverwirklichung und Selbstinszenierung nahezu weltweit zu den Grundkomponenten unternehmerischer Professionalität und haben einen entsprechend gewaltigen Markt für unterschiedliche Selbsthilfe-, Beratungsliteratur und -techniken hervorgebracht. „Selbstverwirklichung“, also etwas zu tun, wofür man (ver-)brennt, gehört darüber hinaus zum Ideal eines gelungenen Lebens und wird in den sozialen Medien konstant vermittelt. Wo postpandemische Trauma-Bewältigungsstrategien statt gemeinschaftlicher Fürsorge oft nur individualisierende Self Care anbieten und sich die ökologischen, sozialen und politischen Krisen verschärfen, kommt (Selbst-) Ausbeutungsverhältnissen eine immer existenziellere Bedeutung zu.
Mit der Dialektik von kreativer Selbstoptimierung, Fürsorge und Ausbeutung eng verbunden sind wiederum Modelle künstlerischer Subjektivierung. Künstler:innen sind als „Selbstbildner:innen“ par excellence prototypisch für die zum gesamtgesellschaftlichen Anforderungsprofil gewordene kreative Existenz. Dergestalt verzerrt erweist sich die moderne Idee von der „Freiheit der Kunst“ als Paradoxon und Dilemma, in dem die Vorstellung von künstlerisch-kreativer Verausgabung des Selbst zu einem „inneren Feind“ geworden ist; oder aber zu einem Prinzip, das es in bewusst gewählter Passivität oder kollektiv zu hintergehen gilt. Umgekehrt stellt sich angesichts der zunehmenden Automatisierung kreativer Handlungen die Frage nach der Verantwortung und Definition künstlerischer Arbeit grundlegend neu.
Die Ausstellung Ins Dunkle schwimmen versammelt künstlerische Arbeiten, die sich den widersprüchlichen Anforderungen im Kontext der Kunstproduktion widmen und dabei auf Abgründe und Grenzen stoßen. Sie bezieht dafür zum einen Werke aus der Sammlung der Angewandten ein, die die Fiktion des „autonomen Werks“ zur Disposition stellen. Zum anderen zeigt sie künstlerische Auseinandersetzungen, die nach den Bedingungen der Zurichtung des Selbst fragen und Verhältnisse zwischen Kunstproduktion und der Arbeit am eigenen Leben ausloten und nach Exit-Strategien aus der Instrumentalisierung des Kreativitäts- und Freiheitspathos suchen.